Das unter dem Schlagwort „Familienbonus“ bekannte Gesetzesvorhaben hat bereits für viel öffentliches Aufsehen gesorgt: Das wohl meist diskutierte Ziel des Gesetzesentwurfes ist es, die Höhe der Familienbeihilfe von dem Wohnort der Kinder abhängig zu machen. Der Gesetzesentwurf hat wie erwartet zu zahlreichen kritischen Reaktionen im Begutachtungsverfahren geführt. Kritisiert werden insbesondere zwei Aspekte des Entwurfes: Erstens, die Kollision des Entwurfes mit geltendem EU-Recht und zweitens, die mangelnde Praxistauglichkeit der geplanten Regelungen.

Die Familienbeihilfe und das geltende EU-Recht

Die österreichische Familienbeihilfe ist eine Pauschalleistung. Das bedeutet, dass die Höhe der Leistung nicht von möglichen Mehr- oder Minderaufwendungen aufgrund des Wohnortes – wie etwa unterschiedliche Wohnkosten – abhängig gemacht wird. Es gibt lediglich drei Faktoren, welche die Höhe der Familienbeihilfe bestimmen: Die Anzahl der Kinder; das Alter der Kinder; und das Vorliegen einer Behinderung.

Diesen drei Faktoren soll nun ein weiterer – nämlich der Wohnort des Kindes – hinzugefügt werden. Das verstoßt jedoch gegen eine der zentralen Normen des EU-Rechts: Das Diskriminierungsverbot von EU-BürgerInnen aufgrund von Staatsangehörigkeit. Sprich, laut EU-Recht dürfen EU-BürgerInnen generell nicht schlechter gestellt werden als österreichische StaatsbürgerInnen. Das gilt somit auch im Fall „Familienbonus“: Nationale Maßnahmen zur Legitimierung der Indexierung von Ansprüchen, die Wanderarbeitnehmer und Selbstständige für ihre in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Kinder im Beschäftigungsstaat erworben haben, sind nach Auffassung der EU-Kommission mit dem geltenden EU-Recht unvereinbar“, wie die Volksanwaltschaft in ihrer kritischen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf klarstellte.

Eine Änderung der EU-Regelungen ist nicht in Sicht

Eine Änderung dieser EU-Regelungen ist – auch wenn gegenteiliges behauptet werden mag – nicht in Sicht: Auf eine Anfrage im Juli 2017 stellte das Europäische Parlament klar, dass eine Änderung dieser Regelungen weiterhin nicht geplant ist. Auch der Europäische Gerichtshof hält in der bisherigen Judikatur daran fest, dass Leistungen nicht direkt oder indirekt von dem Wohnsitzstaat von Familienangehörigen abhängig gemacht werden dürfen. Eine Regelung, welche die Höhe der Familienbeihilfe von dem Wohnort der Kinder abhängig machen würde, wäre also klar EU-rechtswidrig.

Kontrollprobleme und ungenügende Praxistauglichkeit

Für die praktische Durchsetzung der geplanten Regelungen wird eine große Menge an ausländischen Daten benötigt, wie etwa Meldedaten, Sozialversicherungsdaten und Einkommensdaten. Die Überprüfung solcher Daten im Ausland ist jedoch mit hohem Verwaltungsaufwand verbunden. Auch der Rechnungshof kritisierte, dass es zu grundsätzlichen Kontrollproblemen von Sachverhalten und Personen im Ausland kommen wird. Bevor eine solche Regelung also überhaupt praktisch umgesetzt werden könnte, benötigt es Reformen Im Bereich Datenaustausch zwischen den nationalen Behörden auf EU-Ebene. Davor wären die geplanten Regelungen nur schwer durchzusetzen.

Wo kein Kläger da kein Richter

Sofern nationale Vorschriften EU-Recht widersprechen, ist gemäß dem bereits seit 1978 bestehenden EU-Rechtsgrundsatz Unionsrecht anzuwenden. Folglich würde also – auch falls der „Familienbonus“ kommt, – ein dazu aufgerufenes Gericht zu dem Schluss kommen müssen, dass die Regelung gegen EU-Recht verstößt und EU-Recht zur Anwendung kommen muss. Also jene Regelung, die keine Differenzierung der Höhe der Familienbeihilfe aufgrund des Wohnortes von Kindern vorsieht: „Aus Sicht der Volksanwaltschaft [läuft der geplante Gesetzesentwurf] auf eine solche Kollision hinaus und ändert nichts an der Verpflichtung inländischer Behörden und Gerichte, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen.“

Kurz gesagt: Der „Familienbonus“ steht nicht nur im Widerspruch zum geltenden EU-Recht, widerspricht der vom EuGH gefestigten Rechtsprechung, und ist praktisch nur schwer umzusetzen, sondern würde im Falle eines Rechtsstreits aufgehoben werden müssen. Im Hinblick auf diese Kritiken dürfte wohl erwartet werden, dass – aus rein sachlichen Überlegungen – der Gesetzesentwurf erst nach endgültiger Klärung der Rechtsfragen verabschiedet werden sollte. Der Nationalrat sollte auf jeden Fall vermeiden, dass ein gesetzgeberisches Unrecht beschlossen wird.

Relevante EuGH Entscheidungen zum Thema:

EuGH, Rs. 41/84 – Pinna: Leistungen dürfen nicht direkt oder indirekt von dem Wohnsitzstaat von Familienangehörigen abhängig gemacht werden.

EuGH, Rs. 106/77 – Simmenthal: Bei Kollision: Vorrang von EU-Recht gegenüber nationalem Recht.