In Österreich haben anerkannte Umweltschutzorganisationen bislang laut Gesetz keine Parteistellung und keinen Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Umweltrecht. Wasserrecht-, Forst-, Naturschutz-, Luftreinhalte- und Abfallrechtsverfahren finden unter Ausschluss von NGOs statt, sofern dafür keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig ist. Das bedeutet, dass die Bedenken dieser NGOs nicht gehört werden und sie keine Möglichkeit haben, gegen eine Entscheidung rechtlich vorzugehen, wenn sie der Meinung sind, Umweltrecht wird verletzt.

Heute jedoch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem lange erwarteten Urteil über die Frage der Beteiligung und des Rechtsschutzes für Umweltorganisationen entschieden. Das richtungsweisende Urteil stellt klar, dass in allen Umweltverfahren, in denen Unionsrecht verhandelt wird, auch anerkannte Umweltorganisationen zu beteiligen sind. Obwohl diese Entscheidung primär Verfahren aus dem Wasserrecht betrifft, könnte sie aber in der Folge auch so ausgelegt werden, dass sie sich auch auf andere Rechtsbereiche (wie etwa Abfallwirtschaftsrecht, Forstrecht und dergleichen) auswirken wird.

Bisher nur mangelhafte Umsetzung der Aarhus Konvention

Eigentlich hatte Österreich sich bereits 1998 durch die Unterschrift unter die „Aarhus Konvention“ dazu verpflichtet, der betroffenen Öffentlichkeit – also u.a. anerkannten Umweltorganisationen – Rechtsschutz in Umweltverfahren einzuräumen und sie an großen Verfahren zu beteiligen. 2005 wurde die Konvention in Österreich und der EU ratifiziert und somit in Geltung versetzt. Beteiligung und Rechtsschutz wurden daraufhin jedoch nur in UVP-Verfahren eingeführt. Trotz EU-Beschwerde gegen Österreich und „Verurteilung“ der Republik durch die Aarhus Vertragsstaatenkonferenz 2014 sind anerkannte Umweltorganisationen hierzulande nach wie vor aus den allermeisten Umweltverfahren ausgeschlossen.

Im internationalen Vergleich liegt Österreich damit in Hinsicht auf die Einbindung von Umweltorganisationen in Verfahren dementsprechend weit zurück. Zwar wurde vor Jahren auch Deutschland wegen einer mangelhaften Umsetzung der Aarhus Konvention gerügt – dort wurde aber inzwischen ein entsprechendes Gesetz erlassen.

Umsetzung des Urteils

Das Urteil des EuGH braucht, damit es in Österreich gilt, keine Umsetzung durch ein nationales Gesetz. Dennoch wäre eine gesetzliche Umsetzung von Vorteil. Einerseits hat sich Österreich völkerrechtlich dazu schlicht und einfach verpflichtet und ist diese Pflicht nach wie vor schuldig. Andererseits würde eine Umsetzung des Urteils in Nationales Recht Rechtssicherheit schaffen, indem praktische verfahrensrechtliche Fragen und Probleme nicht unbeantwortet belassen werden. Klare, transparente und inklusive Verfahrensregeln würden allen Beteiligten helfen. Der Gesetzgeber ist also an dieser Stelle aufgefordert, gestaltend tätig zu werden, und die für alle Beteiligten wichtige Rechtssicherheit herzustellen.

Auswirkungen in der Praxis

Dass es durch die Einbindung von Umweltorganisationen zu Verzögerungen und Klagen kommt und alles blockiert würde, ist ein Mythos. Eine Beteiligung wird auch in jenen Ländern, die sie bereits umgesetzt haben, nur sehr selektiv wahrgenommen: Nur in wenigen wichtigen Einzelfällen erheben NGOs Klage. Mit einer „Klagsflut“, wie von manchen befürchtet ist also nicht zu rechnen. Ebenso erhöht sich durch die Beteiligung von NGOs die Anzahl an inhaltlichen Vorschriften für Projekte nicht. Die nähere Betrachtung zeigt, dass die eigentlichen Potentiale für mehr Effizienz und eine Verfahrensbeschleunigung anderswo liegen – nicht im Aussperren vom Gerichtszugang.

Conclusio

Die Einbindung von Umweltorganisationen in Verfahren ist zu begrüßen. Sie bildet einen wichtigen Beitrag zum Interessenausgleich und verspricht, dass künftig die Stimme der Umwelt auch bei problematischen Projekten gehört wird. Mit dem heutigen Urteil wurde hier ein Meilenstein in der Österreichischen Umweltrechtsgeschichte gesetzt.

Aarhus Konvention – Eine Chronologie

R

1998

In der dänischen Stadt Aarhus wird das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten verhandelt und unterzeichnet. Auch Österreich und die Europäische Union unterschreiben die Konvention. Sie besteht aus drei Teilen, bzw. „Säulen“, nämlich dem Recht auf Umweltinformationen, dem Recht auf Beteiligung in großen Umweltverfahren und dem Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Umweltrecht. Als erster völkerrechtlicher Vertrag zielt die Aarhus Konvention auf die Verleihung von Rechten an Einzelpersonen und die betroffene Öffentlichkeit wie etwa Umweltorganisationen ab.

2001

Die Aarhus Konvention tritt völkerrechtlich in Kraft.

2005

Österreich ratifiziert die Aarhus Konvention – ebenso wie die die Europäische Union. Damit wird sie zum Bestandteil des Unionsrechts.

Q

2012

ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung bringt eine Beschwerde beim Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) ein, da der Rechtsschutz im Umweltrecht – die „dritte Säule“ der Aarhus Konvention – in Österreich noch immer nicht umgesetzt wurde.

A

2014

Das ACCC erkennt, dass Österreich die Konvention verletzt, da bisher keine Umsetzungsschritte für den Rechtsschutz getroffen worden waren. Die Vertragsstaatenkonferenz (Meeting of the Parties – MoP) – das höchste Gremium der Konvention – bestätigte diese Feststellung und fordert Österreich zum Tätigwerden auf.

Im gleichen Jahr eröffnete auch die EU-Kommission ein PILOT Verfahren gegen Österreich nach einer EU-Beschwerde durch ÖKOBÜRO wegen Nicht-Umsetzung der „dritten Säule“ der Aarhus Konvention.

2015

Der Verwaltungsgerichtshof legt zwei österreichische Fälle zusammen und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor. Darin stellt der VwGH die Frage, ob sich aufgrund der Mitgliedschaft der Europäischen Union bei der Aarhus Konvention die Rechtmittelbefugnis, bzw. die Parteistellung von anerkannten Umweltschutzorganisationen mittelbar aus dem Unionsrecht ableiten lasse.

2016

Der EuGH nimmt einen slowakischen Fall zum Anlass, um anerkannten Umweltschutzorganisationen Parteistellung in Naturverträglichkeitsprüfungen einzuräumen (EuGH 8.11.2016 C-243/15). Dabei wandte er die Aarhus Konvention als Auslegungsmaßstab der Natura-2000 Richtlinie an.

2017

Im Frühjahr findet eine mündliche Verhandlung beim Europäischen Gerichtshof statt, bei der die beiden österreichischen Vorlagefälle besprochen wurden. Das Gericht hatte zuvor angesichts des slowakischen Falls die Fragestellung noch leicht erweitert.

Aus Formalgründen zog der VwGH schließlich im Sommer 2017 die Vorlage des Falles WWF Tumpen-Habichen zurück, der Fall ist jedoch noch durch den anderen Fall beim EuGH anhängig.

Am 16.12.2017 stellen die Koalitionspartner der Öffentlichkeit das Regierungsprogramm 2017-2022 vor. Darin ist – erstmalig in einem Österreichischen Regierungsprogramm – die Aarhus Konvention, für deren Umsetzung man Lösungen finden wolle, genannt.

Der EuGH fällt am 20. Dezember 2017 das wegweisendes Urteil C-664/15, mit dem er  anerkannten Umweltorganisationen endlich in Österreich Parteistellung auch in Wasserrechtsverfahren verschafft.