Österreich ist der Europäischen Union am 1.1.1995 beigetreten. Dem gingen lange Verhandlungen und letztlich eine verpflichtende Volksabstimmung voraus. Verpflichtend war die Volksabstimmung unter anderem deshalb, weil mit dem EU-Beitritt in das demokratische Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung eingegriffen wurde: In mehreren Bereichen wurden Gesetzgebungskompetenzen vom österreichischen Parlament auf die Organe der Europäischen Union übertragen. Als Gegenzug für diese Machtverschiebung wurden dem österreichischen Parlament mehrere Mitwirkungsmöglichkeiten an der Rechtsetzung der Europäischen Union eingeräumt:

 

Die österreichische Bundesverfassung sieht vor, dass das zuständige Mitglied der Bundesregierung, das Österreich im Rat der Europäischen Union vertritt, den Nationalrat und Bundesrat über geplante Rechtsakte der Union in Kenntnis zu setzen hat (Informationspflichten). Das muss so rechtzeitig geschehen, dass National- und Bundesrat Stellungnahmen dazu abgeben können. Grundsätzlich ist eine solche Stellungnahme bindend; das Regierungsmitglied, das Österreich im Rat vertritt, kann aber aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen davon abweichen. Wenn der Inhalt des geplanten Rechtsaktes der Europäischen Union in Österreich nur durch ein Verfassungsgesetz erlassen werden könnte, darf das Regierungsmitglied auch nicht aus zwingenden Gründen, sondern nur mit Zustimmung des Nationalrates von der Stellungnahme abweichen. Wenn das Regelungsvorhaben die Zuständigkeiten der Bundesländer betrifft, kommt dem Bundesrat ein ähnliches Mitwirkungsrecht zu. Auch für bestimmte Beschlüsse des Europäischen Rates, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, bestehen ähnliche, teilweise auch weiterreichende Mitwirkungsrechte.

 

Mit dem Vertrag von Lissabon (2009) wurde außerdem die Möglichkeit geschaffen, dass Mitgliedstaaten die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips prüfen können. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass auf europäischer Ebene nur in den Rechts- und Politikbereichen Regelungen erlassen werden, die auf niederer, insbesondere nationaler Ebene nicht besser bearbeitet werden könnten.

Die Organe der EU müssen die nationalen Parlamente über Gesetzesentwürfe in Kenntnis setzen. Diese können im Rahmen des Subsidiaritätsprüfungsverfahrens Einspruch („begründete Stellungnahme“) erheben, wenn sie glauben, der Entwurf verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip. Alle Stellungnahmen sind zu berücksichtigen. Aber erst bei einer gewissen Mindestanzahl an abgegebenen Stellungnahmen ist der Gesetzesentwurf zu überprüfen. Wird der Rechtsakt trotzdem beschlossen, können die nationalen Parlamente eine sogenannte Subsidiaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof einbringen, mit der eine Nichtigerklärung des Rechtsaktes begehrt wird.

Von österreichischer Seite wurde beispielsweise eine Subsidiaritätsrüge gegen eine geplante Trinkwasserrichtlinie der EU erhoben: Der Bundesrat argumentierte damit, dass es vor allem Aufgabe der Gemeinden sei, sich um die Trinkwasserqualität zu kümmern. Auf lokaler könne dieses Thema besser bearbeitet werden als auf der Ebene der Europäischen Union.

 

In allen diesen Angelegenheiten wird für den österreichischen Nationalrat in der Regel der Hauptausschuss, beziehungsweise der Ständige EU-Unterausschuss tätig. Der Hauptausschuss umfasst 21 Mitglieder. Der EU-Unterausschuss besteht ebenfalls aus 21 Mitgliedern, die vom Hauptausschuss gewählt werden. Eine Besonderheit dieser EU-Ausschüsse ist, dass ihre Sitzungen im Vergleich zu den sonstigen Ausschüssen des Nationalrates öffentlich sind. In Plenarsitzungen des Nationalrates werden regelmäßig „Aktuelle Europastunden“ abgehalten und Regierungsmitglieder geben im zeitlichen Umfeld von Sitzungen der europäischen Organe „Erklärungen zu EU-Themen“ ab. Außerdem können „herausragende Persönlichkeiten der europäischen und internationalen Politik“ (§ 19a GOG-NR) eingeladen werden, im Plenum eine Erklärung zu einem Thema abzugeben. Unter bestimmten Voraussetzungen können an der nachfolgenden Debatte im Nationalrat auch die österreichischen Mitglieder zum Europäischen Parlament teilnehmen.

 

Die beschriebenen, fortschreitenden Verflechtungen beider Ebenen im Zuge der europäischen Integration stellen nur einen Auszug dar. Daneben bestehen noch weitere Mitwirkungsrechte des nationalen Parlaments auf europäischer Ebene; insbesondere im Zusammenhang mit Änderungen der EU-Verträge. Außerdem existieren mehrere Systeme zur Verstärkung des Informationsaustausches: Die aufgrund der oben beschriebenen Informationspflichten dem Nationalrat übermittelten Dokumente werden großteils auf der EU-Datenbank des Parlaments veröffentlicht. Zur Vernetzung der verschiedenen nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten wurde die Plattform „InterParliamentary EU information eXchange“ (IPEX) geschaffen. Dadurch sollen die einzelnen Parlamente unmittelbar informiert werden, wenn ein Gesetzesentwurf von einem anderen Parlament einem Subsidiaritätsprüfungsverfahren unterzogen wird. Die Informationen der IPEX-Website sind öffentlich abrufbar. Außerhalb des Rahmens der EU werden außerdem regelmäßig Konferenzen mit VertreterInnen der verschiedenen Parlamente, wie die Konferenz der ParlamentspräsidentInnen oder jene der Europaausschüsse, abgehalten. Das Europäische Zentrum für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) dient dem Erfahrungsaustausch zwischen den nationalen wissenschaftlichen Diensten der Mitgliedsparlamente.

 

Text: Maximilian Blassnig.

Foto: © Parlamentsdirektion / Peter Korrak

 

Weitere Informationen:

Mitwirkungsrechte des österreichischen Parlaments in EU-Angelegenheiten – https://www.parlament.gv.at/PERK/PE/MIT/

EU-Datenbank des Parlaments – https://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/index.shtml

Interparlamentarische Zusammenarbeit – https://www.parlament.gv.at/PERK/PE/INTZU/

„InterParliamentary EU information eXchange“ (IPEX) – https://ipexl.secure.europarl.europa.eu/IPEXL-WEB/home/home.do

Europäische Zentrum für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) – https://ecprd.secure.europarl.europa.eu/ecprd/public/page/about